Corpreneurial Storytelling is rooted in the “WHO”

Sprachgebrauch analysieren, reflektieren und weiterentwickeln für Jungunternehmen, Corporates und deren Öffentlichkeit

Autor:innen: Birgitta Borghoff und Jasmina Gloor

Unsere Sprache und deren Gebrauch ist massgeblich beteiligt an der Wertschöpfung von Unternehmen. Jungunternehmen, denen es gelingt, ihre Gründungsgeschichte erfolgreich zu vermitteln, haben bessere Chancen, ihre unternehmerische Vision zu verwirklichen und ihre Unternehmung langfristig auf dem Markt zu positionieren. Dies ist im Sinne der Aussage von Jean Paul Sartre zu verstehen: «Wir verstehen alles im menschlichen Leben durch Geschichten». Im Fachjargon der Organisationskommunikation spricht man von organisationalem Storytelling (Schach, 2016; Herbst, 2014; Ettl-Huber, 2014). Erklärt der Unternehmer seine Vision, sein Vorhaben, sein Produkt und bzw. oder seine Innovation anhand einer klar verständlichen anknüpfungsfähigen Geschichte, steigen die Chancen, Befürworter und Investoren für die gute Sache zu finden. Dies wiederum hat einen positiven Einfluss auf die Förderung der unternehmerischen Wertschöpfung und Reputation in der Öffentlichkeit: «Stories that are told by or about entrepreneurs define a new venture in ways that can lead to favorable interpretations of the wealth creating possibilities of the venture […]» ( Lounsbury & Glynn 2001: 546).

Theoretischer Rahmen: Das Thema ist eingebettet in die Theorien von organisationaler Kommunikation (Herger, 2004; Theis-Berglmair, 2003) und einer Linguistik der Organisation (Habscheid, 2003; Mül-ler, 2008; Candlin & Sarangi, 2011) im Wirtschaftskotext. Beide anerkennen den konstitutiven Charakter und prägenden Einfluss von Sprachgebrauch in und auf Organisationen. Unser Vortrag beleuchtet zwei Formen von Organizational Storytelling (Schach, 2016; Herbst, 2014; Ettl-Huber, 2014): Entrepreneurial Storytelling (Borghoff, 2017/2018) und Corporate Storytelling (Krüger 2015). Beide entstehen im Umfeld von Organisationen bzw. Unternehmen. Unter Corporate Storytelling versteht man einen kommunikati-ven Akt, d.h. «[…] eine ganz bestimmte Form einer Mitteilung über ein Geschehen mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende […]» (Krüger 2015: 16). Entrepreneurial Storytelling ist in der Ausführung ebenfalls ein kommunikativer Akt, jedoch nicht nur. Denn Entrepreneurial Storytelling wird zusätzlich von der unternehmerischen Tätigkeit selbst getrieben. Entrepreneurial Storytelling beruft sich auf die Theorie des «communication constitutes organization»-Paradigmas (Cooren, 2015; Schoeneborn & Wehmeier, 2014; McPhee & Zaug, 2009), welches die Organisationsgründung als kommunikative Aufgabe wahrnimmt (Borghoff, 2017/2018). Die Wechselbeziehung zwischen kommunikativer und unter-nehmerischer Tätigkeit ermöglicht es Gründerinnen und Gründern ihr unternehmerisches Tun abzuglei-chen, zu überarbeiten und zu kommunizieren. Dadurch wird Sinn generiert («sensemaking»; Weick, 1995). Entrepreneurial Storytelling ist eine Praxis, welche Storytelling, Entrepreneurship und Design interdisziplinär verbindet (Borghoff, 2018). Bei Corporate Storytelling handelt es sich hingegen um eine Kommunikationsfunktion des Public Relations (PR)-Managements (Krüger, 2015), d.h. die strategische und bzw. oder operative Umsetzung der Kommunikationsstrategie eines Unternehmens.

Forschungs- und Fallkontext: In ihrer Bachelorarbeit hat Jasmina Gloor, Studentin im 6. Semester des ZHAW-Bachelor-Studiengangs Kommunikation untersucht, wie sich die Beziehung zwischen Ent-repreneurial Storytelling und Corporate Storytelling in kommunikativen Produkten von und über Jung-unternehmen gestaltet, worin sich die beiden Formen von Storytelling unterscheiden, überschneiden und bzw. oder ergänzen. Aus den Ergebnissen werden konkrete Empfehlungen für die Storytelling-Praxis von Jungunternehmen und Corporate gezogen. Gerade bei Jungunternehmen sollte das Potential der Kommunikation aufgrund anfänglich zumeist grosser finanzieller und personeller Engpässe voll ausgeschöpft werden. Folgende drei Jungunternehmen wurden in Bezug auf typische sprachliche Mus-ter von Entrepreneurial und Corporate Storytelling untersucht: Vatorex (2019), Eduwo (2019) und Steasy (2019). Die untersuchen Unternehmen sind in verschiedenen Branchen tätig (Bienen, Bildung, Food); ihre Geschichten beginnen jedoch insofern ähnlich, als dass sie ihr Geschäftsmodell aus einer persönlichen Lebenserfahrung heraus entwickelten (Gloor, 2019).

Forschungsrahmen, Methode und Datenmaterial: Betreut wurde die Bachelorarbeit von Jasmina Gloor von Birgitta Borghoff, Forscherin und Dozentin am ZHAW Institut für Angewandte Medienwissen-schaften. Für die Identifikation der jeweiligen Form von Storytelling wurden analytische Bausteine aus zwei Theorien beigezogen. Dabei handelt es sich um das Grounded Theory Modell zu Entrepreneurial Storytelling von Borghoff (2018) und die Dokumentenanalyse nach Krüger (2015). Das Korpus besteht aus drei narrativen Interviews mit den Gründern der untersuchten Jungunternehmen, fünf Medienmit-teilungen, sechs Presseartikeln und drei Webseiteninhalten. In forschungsmethodischer Hinsicht wur-den Storytelling-Analyse (Borghoff 2017/2018; Krüger: 2015) und Teile der linguistischen Diskursana-lyse (Bendel Larcher, 2015) miteinander kombiniert (s. Abbildung). Aufgrund der Zusammenstellung des Korpus konnten nicht nur Entrepreneurial und Corporate Storytelling identifiziert und verglichen werden; es konnte überdies auch ein typischer Verlauf der Kommunikation von einem Einzelakteur (Gründer) über die Kommunikationsabteilung (Medienmitteilung, Webseiteninhalte) bis hin zur Medien-präsenz (Presseartikel) analysiert werden (Gloor, 2019).

Ergebnisse und Deutung: Die Analyse zeigt folgendes Bild: Sämtliche kommunikativen Produkte ent-halten sowohl Marker für Entrepreneurial Storytelling als auch für Corporate Storytelling. Es lassen sich insgesamt mehr Entrepreneurial Storytelling-Marker als Corporate Storytelling-Marker bestimmen. Die rekonstruierten Marker unterscheiden sich zumeist. Wenn sie sich überschneiden, kann von einem «Er-gänzen» gesprochen werden. Die Überschneidungsrate ist allerdings gering. Entrepreneurial Storytelling-Marker sind oft an der handelnden Person und einem aktiven, handelnden Verb festzumachen. Ein Beispiel: «Um der Plage hierzulande Herr zu werden, testen Agroscope-Forscher unter anderem auch einen Brutstopp als Alternative» (Gloor, 2019: 71ff.). Als handelnde Person kann der Agroscope-Forscher gewertet werden, das aktive handelnde Verb ist «testen», welches auf einen Akteur und sein Tun verweist. Dies schliesst passive Hilfs- bzw. Funktionsverben wie zum Beispiel «sein» oder «haben» aus. Corporate Storytelling-Marker sind im Gegensatz zu Entrepreneurial Storytelling-Markern häufig in ganzen Sätzen, Satzteilen, Abschnitten und in Nominationen sprachlich realisiert. Dadurch wird deutlich, dass Marker von Corporate Storytelling oftmals übergeordnete Aspekte beschreiben, wofür ganze (Teil-)Sätze, Abschnitte oder Nomen benötigt werden. Corporate Storytelling spiegelt sich insofern in der kommunikativen Vermittlung komplexerer Sachverhalte wieder. Beispiele für entsprechende Nomen sind «Erfolg», «Ziele», «Vision» oder Textteile, welche diese Nomen beschreiben. Ein Beispiel für die Formulierung von Werten findet sich im nachfolgenden Satz: «Im Zeitalter von Fake-News und alternativen Fakten steht Seriosität für Eduwo an erster Stelle» (Gloor, 2019: 96ff.). Ein weiteres Beispiel für die Beschreibung einer Vision: «Die Vision geht wirklich so dahin, dass wir ein ganzheitlicher Anbieter für Imkereilösungen werden» (Gloor, 2019: 43ff.).

Bei Entrepreneurial Storytelling gibt es zwei Marker, welche besonders auffallen: Entrepreneurship Praktiken sowie Praktiken der Kommunikation. Erstere lassen sich insbesondere in narrativen Inter-views sprachlich rekonstruieren. Medienmitteilungen und Presseartikeln integrieren hingegen verstärkt Praktiken der Kommunikation zusammen mit Praktiken des unternehmerischen Managements. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die befragten Gründer ihre Unternehmensgeschichte besonders hin-sichtlich dessen, was sie machen, tun, investieren oder vorantreiben, wahrnehmen. Wie sie beispiels-weise Prozesse strukturieren oder Aufgaben realisieren (Praktiken der Organisation), scheint für die erzählenden Gründer offenbar weniger relevant zu sein. Diese These ist allerdings mit Vorsicht zu formulieren, da der Einstieg der narrativen Interviews durch den Wortlaut bereits eine Richtung vorgibt: «Erzähl mir deine Gründungsgeschichte…» Des Weiteren ist eine Verschiebung von Entrepreneurship Praktiken hin zu Praktiken der Kommunikationen innerhalb der Kette von Kommunikationsprodukten, also vom narrativen Interview hin zu Medienmitteilungen und Webseiteninhalten, zu erkennen. Grund dafür könnte die jeweilige Rolle des Absenders sein. Gründerinnen und Gründer von Unternehmen se-hen sich stark als «Macher» und reden im Gespräch vor allem darüber, was sie tun. Kommunikatoren wie Mediensprecher oder Journalistinnen greifen hingegen stark auf bewährte kommunikative Formen und Medien zurück und schreiben in standardisierten Textsorten (Genres); z.B. Medienmitteilungen o-der Webtexte (Kommunikationsverantwortliche in Organisationen) bzw. Bericht, Leitartikel oder Kommentar (Journalisten).

Die Tatsache, dass sich besonders in den narrativen Interviews mit den Gründern mehr Entrepreneurial Storytelling-Marker als Corporate Storytelling-Marker identifizieren liessen, deutet darauf hin, dass Personen in der spontanen Äusserung bereits Entrepreneurial Storytelling betreiben. Jede Gründerin und jeder Gründer trägt also die sprachlichen Inhalte und Werkzeuge bereits latent in sich, um Entrepreneurial Storytelling zu machen. Inwieweit dieses Storytelling sich weiter professionalisiert bzw. professionalisiert wird, hängt massgeblich davon ab, inwieweit sich ein Gründer oder eine Gründerin voll bewusst ist, was er oder sie sagt oder eben nicht sagt, d.h. wie er oder sie dieses Bewusstsein strategisch für sich und das Unternehmen nutzen möchte.

Ein weiterer Aspekt, der aus der Forschungsarbeit für die Praxis gezogen werden kann, liegt in der Schnittstelle von kommunikativen Produkten aus der Kommunikationsabteilung und von Journalisten verfassten Artikeln für Zeitungen oder Fachzeitschriften. Gewisse Corporate bzw. Entrepreneurial Sto-rytelling-Marker werden für Artikel bevorzugt aufgenommen, beispielsweise der Corporate Storytelling-Marker Produktbezug. Ein gutes Beispiel findet sich beim Jungunternehmen Vatorex. Mitgründer Pascal Brunner erzählt im narrativen Interview bereits vom Heizdraht, der direkt in die Wachsplatte führt (Floor, 2019: 43ff.). In der ersten Medienmitteilung aus dem Jahr 2015 spricht das Jungunternehmen von Heizdrähten, die die Waben von innen erwärmen (Gloor, 2019: 65ff.) und im Artikel im Tagesanzeiger über Vatorex vom 27. Mai 2018 schreibt der Journalist über einen eingebauten Heizdraht in der Wachsplatte (Gloor, 2019: 71ff.). Entrepreneurial Storytelling-Marker wie Entrepreneurship Praktiken sind ebenfalls bei den Medien sehr beliebt: «Wir haben die Firma im Sommer 2016 gegründet, haben dann im Herbst 2016 operativ begonnen im Oktober» (Gloor, 2019: 77ff.).

Implikationen für die kommunikative Praxis von Entrepreneurs: Anhand der jeweiligen individuellen Eigenheiten und Wirkungsweisen typischer sprachlicher Muster von Entrepreneurial und Corporate Storytelling, können potenziellen Gründerinnen und Gründern, die nicht per se über professionelle kommu-nikative Fähigkeiten verfügen, entsprechende sprachliche Kompetenzen beispielsweise in Form von StoryLabs vermittelt werden. Dies mit dem Ziel, wirkungsvolles Entrepreneurial und bzw. oder Corporate Storytelling zu betreiben oder gar zum gestandenen «Corpreneurial Storyteller« heranzureifen und sein Unternehmen gesamtgesellschaftlich in der Öffentlichkeit zu legitimieren. Letztlich beginnt, steht und fällt alles mit der Person des Gründers, dem «WHO«.

Literatur

Borghoff, B. (2017). Entrepreneurial Storytelling: Narrative Praktiken und Designstrategien in der Projekt- und Organisationsentwicklung. In: Perrin, Daniel; Kleinberger, Ulla (Hg.). Doing Applied Linguistics. Enabling Transdisciplinary Communication (175-184). De Gruyter Collection. Berlin/Boston: Walter de Gruyter. Peer reviewed.

Borghoff, B. (2018). «Entrepreneurial Storytelling as Narrative Practice in Project and Organizational Develop-ment». In: Entrepreneurship in culture and creative industries: perspectives from companies and regions (63-83). New York, NY: Springer International Publishing AG (FGF Studies in Small Business and Entre-preneurship).

Candlin, C. N., & Sarangi, S. (Hrsg.) (2011). Handbook of communication in organisations and professions (Bd. 3, Handbooks of applied linguistics). Berlin: De Gruyter Mouton. Curriculum Vitaes.
Cooren, F. (2015). Organizational discourse. Communication and constitution (Key themes in organization-al com-munication). Cambridge: Polity Press.

Ettl-Huber, S. (2014). Storypotenziale, Stories und Storytelling in der Organisationskommunikation. In S. Ettl-Huber (Hrsg.). Storytelling in der Organisationskommunikation (S. 9–26). Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Gloor, J. (2019). Die Beziehung zwischen Entrepreneurial Storytelling und Corporate Storytelling in kommunikativen Produkten von und über Jungunternehmen. Bachelorarbeit im Bachelor Kommunikation am Departement Angewandte Linguistik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (unveröffentlicht).

Habscheid, S. (2003). Sprache in der Organisation. Sprachreflexive Verfahren im systemischen Bera-tungsgespräch. Berlin: Walter de Gruyter.

Herger, N. (2004). Organisationskommunikation. Beobachtung und Steuerung eines organisationalen Risi-kos. Wiesbaden: Springer.

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Krüger, F. (2015): Corporate Storytelling. Theorie und Empirie narrative Public Realtions in der Unternehmenskommunikation. Wiesbaden.

Lounsbury, M., Glynn, M. A. (2001): Cultural Entrepreneurship: Stories, Legitimacy, and the Acquisition of Re-sources. In: Strategic Management Journal o. J., H. 22, S. 545-564.

McPhee, R. D. & Zaug, P. (2009). The communicative constitution of organisations. A Framework for Ex-planation. In Putnam, L. L. & Nicotera. A. M. (Hrsg.). Building theories of organization. The consti-tutive role of communication (21–47). New York: Routledge.

Müller, A. P. (2008). Aufgabenfelder einer Linguistik der Organisation. In Menz, F. & Müller, A. P. (Hrsg.). Organi-sationskommunikation (S. 17–46). München: Rainer Hampp Verlag.

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Schach, A. (2016). Storytelling und Narration in den Public Relations: Eine textlinguistische Untersuchung der Un-ternehmensgeschichte. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

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Weick, K. E. (1995): Sensemaking in organizations. Thousand Oaks etc.: Sage (Organisationstheorie).

About entrepreneurialstorytelling

Birgitta Borghoff, MA, MAS ZFH Creative Entrepreneur, Entrepreneurial Researcher and Holistic Life Coach

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